- Sozial & Gerecht
- Frieden & Sicherheit
- Menschenrechte
- Wirtschaft
- Zukunft der Arbeit
- Grüne Debatte
Detter, Tipp & Lichtenberger - Die Arbeitswelt im Umbruch
Die dadurch hervorgerufene Transformation unserer Wirtschaft hat wiederum Wanderbewegungen der Arbeitskräfte ausgelöst, also eine massive Verschiebung von Beschäftigten zwischen den drei Wirtschaftssektoren.
- Wanderbewegung 1 – von der Landwirtschaft in die Industrie
Aus der Landwirtschaft wanderten Arbeitskräfte durch die Einführung technisch gesteuerter Massenproduktion in die sich entwickelnde Industrie ab – mit dem Ergebnis, dass heute nur mehr 3 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig sind und es trotzdem zu Nahrungsmittelüberproduktion mit entsprechendem Preisverfall kommt. Seit den 50er-Jahren entwickelt sich der „Warentransporttourismus“ zu Lasten der regionalen Versorgung und auf Kosten der Umwelt.
Durch den Trend zu gesunder Ernährung und überprüfbarer Herkunft der Nahrungsmittel können wieder neue Chancen für die regionale und innovative Landwirtschaft entstehen.
- Wanderbewegung 2 – von der Industrie zur Dienstleistung
Im Sektor 2 (Industrie und produzierendes Gewerbe) wurde die Basis für den Industriestaat geschaffen. Durch die Integration neuer Technologien (v. a. Prozessinnovation) konnte ab den 1960erJahren der Umsatz ohne zusätzliche MitarbeiterInnen gesteigert werden. Große Stückzahlen waren die Basis des erfolgreichen Einsatzes von Prozess-automation und erforderten eine permanente Ausweitung des Marktes. Bereits in den 80er-Jahren waren Produktionsstandorte global vernetzt – datengesteuerte Zulieferstrukturen, Just-in-time-Produktion, erste Roboter in Fertigung, Handling und Montage. Parallel ergab sich ein Feld von alternativen Arbeitsplätzen in der produktionsnahen Dienstleistung (Service und Wartung, Software-Entwicklung, Sicherheitsdienste, Reparaturdienste). Der Bedarf an Arbeitskräften reduziert sich auf eine kleine Gruppe von qualifizierten MitarbeiterInnen und „low-level-workern“ im Support.
Als um die Jahrtausendwende der Dienstleistungssektor nicht mehr die gesamte Abwanderung aus der Industrie aufnehmen konnte, reagierten Staat und Wirtschaft mit Frühpensionen, Korridorpensionen und der Reduktion auf Teilzeitjobs.
Durch das steigende Angebot neuer Technologien kommt es zu einer verstärkten Gründung von EPUs und KMUs, die in Abgrenzung zum Massenmarkt versuchen, durch neue Geschäftsmodelle eine Abdeckung regionaler Märkte zu erreichen.
- Wanderbewegung 3 – von der Dienstleistung in neue Aufgabenfelder und selbstständige Tätigkeiten
Eine Fülle von Tätigkeiten, die nur bedingt und in kleinen Bereichen von Robotern übernommen werden können, wird entstehen. Dies betrifft Kinderbetreuung, Altenbetreuung, Sicherheitsdienste, Gesundheitsvorsorge u. v. m. In diesen Arbeitsfeldern besteht eine steigende Nachfrage nach Arbeitskräften. Viele dieser Arbeiten werden staatlich gefördert und können ohne diese Beiträge nicht wahrgenommen werden. Oft besteht kein kollektivvertraglicher Schutz – geringes Einkommen, Scheinselbstständigkeit und Mehrfachjobs sind leider keine Ausnahmen. In diesem Bereich der Dienstleistungen gibt es Wachstumspotential, allerdings nur, wenn staatliche (Co-)Finanzierung gesichert werden kann. Dazu muss es zu einer Umverteilung von weiter steigenden Unternehmensgewinnen und von Gewinnen aus der Finanzspekulation (die außerhalb der Realwirtschaft stattfindet) kommen.

(c) Helmut Detter
Veränderungen in der Arbeitswelt
Wenn von den Veränderungen der Arbeitswelt die Rede ist, wird vor allem die Arbeitslosigkeit intensiv diskutiert. Daneben gibt es aber andere, für die ArbeitnehmerInnen häufig negative Phänomene, die unter der medialen Wahrnehmungsgrenze bleiben:
- Von Vollzeit zu Teilzeit
Vollzeitjobs nehmen ab und Teilzeitjobs zu, Leiharbeitsfirmen decken die Spitzenlasten ab – oft begleitet von Lohndumping.
- Von Teilzeit in die Selbstständigkeit
Die Selbstständigkeit ist häufig der einzige Weg aus der Arbeitslosigkeit, als Einpersonenunternehmen oder in Form von Werkverträgen und Praktika ohne Aussicht auf Festanstellung.
- Low-level-jobs
Die (Schein-)Selbstständigkeit nimmt zu und führt nicht selten zu Mehrfachjobs mit niedrigem Qualifikationserfordernis.
- Minijobs in der digitalen Gesellschaft
Über das Internet angebotene Kleinaufträge werden von “click-workers” mit sehr geringen Einkommen übernommen.

(c) Helmut Detter
Der Weg zum weitgehend arbeitsbefreiten Homo Sapiens
„Bis zum Ende des Jahrhunderts wird es überintelligente Maschinen geben und Millionen von überflüssigen Menschen.“ Ranga Yogeschwar
Es ist mittlerweile unbestritten, dass immer mehr Menschen durch lernende Maschinen und Roboter ersetzt werden. Durch das Tissue Engineering können in absehbarer Zeit auch humanoide Roboter entwickelt werden – es entsteht eine Konkurrenz zwischen menschlichen Denkleistungen und Künstlicher Intelligenz. Wer dabei die Oberhand gewinnen oder erhalten wird, wird zwischen SystemdenkerInnen und VisionärInnen intensiv diskutiert.
Dabei zeichnet sich ein weiteres Dilemma ab. Zum einen ist die Entwicklung neuer Technologie lebensnotwendig, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, zum anderen vernichtet die Ökonomie des Fortschritts die traditionellen Arbeitsplätze.
Gleichzeitig wird heute noch sehr viel volkswirtschaftlich und sozialpolitisch wichtige Arbeit unbezahlt geleistet. Wenn diese in Zukunft finanziert werden soll, werden neue Formen der Besteuerung von Gewinnen aus der Automatisierung notwendig sein. Produkte und Dienstleistungen brauchen einen potenten Käufermarkt, der aber bei steigender Arbeitslosigkeit unter Druck gerät. Schlussendlich ist es aber vor allem eine Frage der Wertegesellschaft, wie sie mit Menschen ohne Lohnarbeit sozial verantwortlich umgeht.
Das ist das große Sozialproblem unserer Zukunft, bisher verdrängt und von der Politik verschwiegen. Die zunehmende Verlagerung von menschlichen Leistungen auf maschinelle Intelligenz wird die Gesellschaft, die Arbeitswelt und das Zusammenleben der Menschen tiefgreifend verändern. Wir stehen vor einem bereits angelaufenen Paradigmenwechsel, auf den politische Antworten gefunden werden müssen.
Helmut Detter ist emeritierter Professor an der TU Wien.
Michael Lipp ist Softwareentwickler.