- Demokratie
Grün grünt das Mürztal
Der Artikel "Grün grünt das Mürztal. Wie die Grünen langsam in den politischen Horizont eines Mürztaler Jugendlichen eingetreten sind - eine regionale Sicht auf die Geschichte der steirischen Grünen" von Ulrich Pichler wurde ursprünglich in der Ausgabe 2002 von impulsgrün, dem Jahrbuch der Grünen Steiermark, veröffentlicht.
Grün grünt das Mürztal
2001 gab es einen guten Grund ein Fest zu feiern. 1981, vor damals 20 Jahren, wurde in Graz die ALG gegründet. Bei den ersten Wahlen, bei denen sie antrat, errang sie einen fulminanten Erfolg, und seit damals sind MandatarInnen der ALG im Grazer Gemeinderat vertreten. 1986 folgte der Einzug der steirischen Grünen und Alternativen in den No matching tab handler could be found for link handler key record:tx_ongbw_article:10019., gleichzeitig schaffte die bundesweite Vereinigung der Alternativen Listen, die sich aus den sozialen Bewegungen der siebziger Jahre entwickelt hatten, den Einzug ins Parlament.
"Nach Erkennen der Möglichkeiten, die sich boten, und in kluger Einschätzung der politischen Verhältnisse entschieden sich die (Grazer) BürgerInneninitiativen Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dazu..."
So in etwa könnte eine Geschichte der Grünen in der Steiermark beginnen. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie der Text weitergeht. Es würde eine Beschreibung der Ausgangslage und der politischen Situation zu jener Zeit folgen und daran würde - aufbauend auf Protokolle und andere Quellen - eine Chronologie der Partei anschließen. In diesem Artikel wählte ich allerdings eine subjektivere Perspektive.
Jugend und Politik im Mürztal
1982 war ich gerade acht Jahre alt und mehr mit der Volksschule als mit den grundlegenden politischen Problemen beschäftigt. Meine erste wirkliche Erinnerung an die Grünen ist der Name Kaspanaze Simma. Zum einen, weil es im Mürztal unglaublich schien, dass jemand tatsächlich Kaspanaze (und dann noch dazu Simma) heißen könne, und zum anderen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es in Österreich noch andere Politiker außer Bruno Kreisky gab. Der war nämlich gerade in Krieglach gewesen und war mit einem Fackelzug geehrt worden. Der Fackelzug endete am Volkshausplatz, den ich von meinem Zimmer aus gut sehen konnte. Das war lange vor Videowalls und Kreisky war mehr eine Ahnung, ein dunkler Punkt, der einzige ohne Fackel. Etwas später sah man ihn als Indianer karikiert auf einem Plakat und wir buchstabierten uns mühsam den Text vor - bis alle da waren und wir ins Schwimmbad radeln konnten. Kurz darauf erschien den Krieglachern und Krieglacherinnen leibhaftig Alois Mock (ohne Fackelzug) und mein Freund Martin wurde stolzer Besitzer eines Polaroids mit Autogramm, das noch jahrelang über seinem Ikea-Schreibtisch hing. Auf den Plakatwänden verkündete eine Susi "Zwischen Pizza und Gelati träum ich von meinem Landesvati", Norbert Steger wurde ein Wurm aus der Nase aufs Plakat gemalt und der Bürgermeister war natürlich der Betriebsratsvorsitzende aus dem Werk - von den Grünen keine Spur.
Ich begann Basketball zu spielen und war natürlich vom Vranz begeistert, weil der in einer Wahlbroschüre als Mitglied der Basketballnationalmannschaft abgebildet war und mit Niki Lauda in Wien U-Bahn fuhr. Damals begannen wir untereinander verstohlen Exemplare der Zeitschrift "Wiener" weiterzugeben, weil da Hochglanzansichten von knapp bekleideten Damen zu sehen waren (das war vor der flächendeckenden Einführung von Altpapiercontainern und den - von uns fleißig gehobenen - darin verborgenen... aber das ist eine andere Geschichte). Und mit einem Portrait von Peter Pilz, das in einer Ausgabe des Wieners erschien, übertrafen die Grünen ein weiteres Mal meine Wahrnehmungsschwelle.
Die Grünen am Horizont
Ich spielte weiter Basketball, bedeckte mich altersgerecht mit Pickeln und Stimmbruch und die Grünen blieben als akzeptierte Größe in der politischen Perspektive - die damals wirklich nebensächlich war - meiner Freunde und mir erhalten. Allerdings als etwas Diffuses und leicht Undurchschaubares. Bei den anderen Parteien wussten wir so ungefähr, wofür sie standen und wer sie repräsentierte. Die Vorsitzenden (es waren eben immer nur Männer - auch das unterschied die Grünen und machte sie schwerer einordenbar) der anderen Parteien blieben lange Zeit die selben, der wahre Präsident war Rudolf Kirchschläger (auch noch lange nach der Waldheim-Wahl), der Bundeskanzler und die gesamte Belegschaft der Verstaatlichten in unserer Gegend war rot, in der Veitsch gab es ein paar Kommunisten - das wussten wir, und der Landeshauptmann hieß Joschi Krainer. Weil der am 19. März Geburtstag hatte, hatten wir schulfrei - so dachten wir. Es brauchte mehr als eine/n ReligionslehrerIn, um uns diesen Irrtum auszureden. Dinge wie Landtag waren irrelevant.
Inwiefern diese Wahrnehmungen, die sich mit denen anderer Gleichaltriger decken, den tatsächlichen politischen Gegebenheiten entsprachen, mag jeder für sich selbst beantworten. Es kann aber gesagt werden, dass es bei den Grünen lange dauerte, bis die Bewegungen, die sich zu einer Partei zusammen gefunden hatten, dauerhaften Eingang in das politische Blickfeld der Mürztaler Menschen in den 1980er Jahren fanden. Weit mehr auf- und angeregt hat mich und meine Freunde damals Jörg Haider - und viele haben aus Ablehnung ihm gegenüber begonnen, politisch zu denken, und in den Ideenwelten der Grünen eine entsprechende Heimat gefunden.
Jemand, der bei der Gründung der ALG dabei gewesen ist und die Entwicklungen der Partei aus nächster Nähe verfolgt hat, hätte naturgemäß einen völlig anderen Text verfasst. Es mag kaum eine weiter entfernte Außenperspektive auf die Parteigeschichte geben als die eines politisch relativ unbedarften Mürztalers. Ich hätte natürlich bestehende Artikel, Bücher und Ähnliches zu Rate ziehen können und mich auf die Weitergabe überlieferten Wissens beschränken können. Ich bin allerdings mit dem Aufbau des Archivs der Grünen Steiermark betraut worden und wollte, bevor ich mich in die Berge von Ordnern und Stöße von handschriftlichen Aufzeichnungen über Vorstandsklausuren aus dem Jahre 1985ff. vertiefe, noch einmal unbeeinflusst meine persönlichen Erinnerungen Revue passieren lassen.
Ich möchte an dieser Stelle alle einladen, selbst einmal kurz Rückschau auf 21 grüne Jahre zu halten und mir - wenn möglich - diese Ergebnisse zukommen zu lassen, um so ein kaleidoskopähnliches Panorama einer bunten Bewegung, die - immer noch? nicht mehr? - auf dem Weg zur Partei ist, entstehen zu lassen.