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Kay-Michael Dankl - Links ist mehr als die Distanz zu rechts
In einer Zeit der kapitalistischen Krise betreiben FPÖ, ÖVP und SPÖ eine zunehmend autoritäre Politik: Sobotkas repressive Sicherheitspolitik, die Polizei und Militär hochrüstet, Freiheiten beschränkt und Sündenböcke sucht; die nationalistischen Töne von Außenminister Kurz oder die Kürzungen von sozialstaatliche Leistungen wie der Mindestsicherung – vor dem Hintergrund all dieser Angriffe auf gesellschaftliche Errungenschaften fällt es leicht, die Grünen als vergleichsweise links einzuordnen. „Linke Politik“ muss aber mehr sein als Distanz zur rechten Politik eines wachsenden Teils des politischen Spektrums. Denn dieses Kriterium können auch viele Liberale und auch christlich-sozial gesinnte Konservative grundsätzlich erfüllen. Der Anspruch linker Politik geht über die Abwehr von Verschlechterungen eines – alles andere als optimalen – Status quo hinaus.
Linke Politik zielt darauf ab, die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern. Dabei ist die Kritik an Verhältnissen, die das alltägliche Leid von Menschen in allen Teilen der Welt produzieren, eine notwendige Voraussetzung. Die Grüne Bewegung ist seit ihren Anfangstagen eng mit dieser Kritik verbunden. Der Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen, der Einsatz für ein Wirtschaftssystem, das nicht die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zerstört und das Engagement für eine Welt frei von Rassismus, Nationalismus und Grenzen sind untrennbar verbunden mit einer radikalen Kritik an der Gesellschaft, in der wir leben und wie wir sie kennen, so wir diese politischen Ziele ernst nehmen. An dieser Stelle scheiden sich auch die Wege zwischen vielen Linken und vielen Liberalen: Während Liberale ein Stück des Weges mitgehen, wenn es etwa um die Kritik an staatlicher Repression, rassistischer oder sexistischer Diskriminierung oder ein teilweises Auflösen der Nationalstaaten zu Gunsten einer Staatlichkeit auf höherer Ebene geht, müssen Linke auch an der Überwindung des Kapitalismus arbeiten, eine grundlegende Kritik am Staat üben und patriarchale Verhältnisse angreifen. Als Leitbild einer solchen linken Politik braucht es eine Utopie, die Orientierung gibt bei der Frage nach politischen Zielen, Formen der politischen Organisierung und der bewussten Entscheidung für die Wahl der Strategie. Die grundsätzlichen politischen Ansprüche der Grünen, wie sie in den Parteiprogrammen formuliert sind, weisen stark in die Richtung einer linken Politik, die Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend anders gestalten möchte.
Viele Teile Grüner Politik sind nicht per se links. Umweltschutz ist beispielsweise genauso bei Konservativen und Rechtsextremen zu finden, eingebettet in ein völkisches Weltbild, das Blut-und-Boden-Vorstellungen mit ökologischen Fragen verbindet. In der Praxis ist außerdem zu beobachten, dass auch die Grünen einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt sind, der eine solche linke Politik erschwert. Herrschaftskritik wird aber desto schwieriger, je größer der Wunsch ist, „dazuzugehören“ und teilweise selbst zu regieren. Die politischen Verbrechen der deutschen Grünen in der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder und Fischer sind eine Warnung, welche Politik in der staatstragenden Logik der Verwaltung bestehender Verhältnisse auch von Grünen betrieben werden kann. Dieser Druck zur Integration in statt zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse zeigt sich auch in der Frage, wie Gesellschaft verändert werden soll.
Linke Politik braucht kollektives Handeln. Das heißt es genügt nicht, Menschen zu einem etwas anderen Konsumverhalten zu animieren, wenn sie damit in den engen Rollen als Konsument*innen oder, im politischen Feld, als Wähler*innen verharren. Denn dabei fehlt die Idee, dass wir uns nicht nur in diesen vorgegebenen Kategorien etwas anders verhalten können – sondern eben diese Rollen hinterfragen und aufbrechen sollen. Bei den Grünen verbindet sich der Trend zur Individualisierung von vermeintlich politischem Handeln mit der europaweiten Tendenz hin zu technokratischer Politik: Entscheidungen sollen von Expert*innen getroffen werden, die die „richtigen“ Antworten auswählen und vorgeben sollen – bei politischen Fragen, wo es um Abwägungen, widersprüchliche Interessen und deren Durchsetzung geht, eigentlich eine unmögliche Kategorie. Diese technische Herangehensweise bewirkt, dass die Bearbeitung von Fragestellungen und das Treffen von Entscheidungen entpolitisiert und damit entdemokratisiert werden. Dabei stirbt der Gedanke, dass die Gesellschaft, in der wir leben, historisch entstanden ist und auch in Bereichen wie den Arbeits- und Produktionsverhältnissen demokratisch gestaltet werden kann. Diese Möglichkeiten in das Bewusstsein vieler Menschen zu bringen, sie zu gemeinsamen politischen Handeln zu befähigen und radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben – das ist die Aufgabe einer linken Grünen Partei. Das geht über jene politische Praxis hinaus, die wir derzeit erleben. Für Menschenrechte und liberale Demokratie zu stehen, Bestehendes in einer Zeit des Vormarsches rechter und rechtsextremer Kräfte zu verteidigen – das wird nicht genug sein. Mehr denn je braucht es Ideen und Bilder einer grundlegend besseren Gesellschaft, eine Utopie, die über Abwehrkämpfe hinaus verweist und wieder Hoffnung macht, dass eine deutlich bessere Zukunft möglich ist.