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Maißer - Über die Freiheit zu verbieten
Die ganze Problematik von Freiheit und Verbot wird anhand eines Artikels von Hans Rauscher im Standard deutlich. Rauscher, der sich grundsätzlich als liberal versteht und staatlicher (und damit demokratischer) Regulierung skeptisch bis ablehenend gegenüber steht, schreibt hier über einige Vorzüge der Verbotsgesellschaft und dabei fallen ihm natürlich sofort die Grünen ein. Nun kann man sich darüber freuen, Lob – wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen – von einem Gegner zu bekommen; mich aber hat der Artikel einerseits belustigt, andererseits bestürzt: Kann es wirklich sein, dass der hehre Begriff Freiheit im Kopf eines doch einflussreichen Journalisten in Österreich so trivialisiert und reduziert ist?
Das Lustige ist aber nicht nur die rein auf persönlicher Befindlichkeit beruhende Auswahl und Spießigkeit der Beispiele und das gleichzeitig offensichtliche Bedürfnis, seinen Frevel an der libertären Sache zu rechtfertigen, sondern die Naivität und die demonstrativ zur Schau getragene Unwissenheit über die Komplementarität von Freiheit und Verbot. Hat er wirklich noch nie von Rousseau und Kant gehört, für die Freiheit und Gesetz, d.h. aber auch Freiheit und Verbot, nicht Gegensätze sind, sondern sich - vor allem in Demokratien - sogar gegenseitig bedingen?
Für Rauscher ist Freiheit offensichtlich jene des einsamen Wolfes, der durch die endlosen Weiten einer zerklüfteten und wilden Natur streift, die nur darauf wartet, mit harter Hand und eisernem Willen beherrscht zu werden. Nicht zufällig werden genau solche Bilder in der Autowerbung ständig wiederholt: In deren alternativer Wirklichkeit ist die autofreie Stadt (bis auf das eigene Auto natürlich) längst Realität, Geschwindigkeitsbegrenzungen existieren nicht, Gefahren sind da, um beherrscht zu werden. Das ist eine Freiheit die ich auch toll finde!
Freiheit unter Vielen
Und dann bin ich wieder im echten Leben. Bei jedem Schritt vor meine Türe teile ich und kreuzen sich meine Wege mit hunderten oder sogar tausenden anderen Menschen, im Auto, in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Fahrrad oder zu Fuß.
Jede Entscheidung, die ich treffe, vom Essen über Heizen, Konsum, Wohnort, Transportmittel, Kommunikation etc. hat Auswirkungen auf andere Menschen. Ja, wir leben in einer Verbotsgesellschaft, aber das hat nichts mit bösen, alles beherrschenden VerbieterInnen, die immer wieder an die Wand gemalt werden, zu tun. Verbote sind unser Versuch, uns Freiheiten zu schaffen, die wir sonst einfach der Rücksichtslosigkeit der größten EgoistInnen opfern würden.
Wir können in einer zugeschissenen, wild verparkten, verdreckten Umgebung leben, wir können giftige Lebensmittel, Tierleid, Casinokapitalismus und seine Opfer, verschmutzte Flüsse und Seen akzeptieren, wir können in Abhängigkeit von „billiger Energie“, die mit der Zerstörung von Menschenleben hoffentlich möglichst weit weg erkauft wird, weitermachen und uns letztlich in die Abhängigkeit von mehr oder weniger wohlmeinenden Oligarchen wiederfinden. Oder wir als demokratisch oranisierte Gesellschaft übernehmen selbstbewusst Verantwortung für unsere Freiheit, unterstützen und erlauben möglichst bunte Vielfalt und größtmögliche Freiheit einerseits, regulieren und verbieten aber andererseits, was zwischen uns und einem guten Leben für möglichst alle Menschen steht.
Verbote Entrümpeln: Wer wehrt sich?
Dabei ist unbestritten, dass es viele Verbote gibt, die in meinen und Rauschers Augen überflüssig sind. Nur werden wir Mühe haben, beim Entrümpeln viele Verbote zu finden, die nicht entschieden und engagiert von erstaunlich vielen Menschen verteidigt werden.
Aber gerade weil es in einer Demokratie beim Entrümpeln auf Engagement und Anzahl der Entrümpelnden ankommt, würde ich mich natürlich über Rauschers Mithilfe freuen. Es drängt sich auf, beim Verkehr zu beginnen, weil es kaum einen anderen Bereich gibt, in dem so eindeutig Hierarchien der Freiheit festgelegt sind: Von den AutofahrerInnen, deren einziges Hindernis die anderen AutofahrerInnen sein sollen, bis hin zu FußgängerInnen und vor allem Kindern, die überhaupt „auf der Straße nichts verloren“ haben. Ein paar konkrete Beispiele: Vor knapp 100 Jahren wurde das Verbot erfunden, da wo man möchte über die Straße zu gehen. Fast jede Verkehrsampel ist ausschließlich dazu da, den FußgängerInnen den ihnen durch einen Zebrastreifen gnädig gewährten Vorrang zu nehmen. Ein aufgemalter Mehrzweckstreifen nimmt RadfahrerInnen praktisch das Recht, einen vernünftigen Sicherheitsabstand zu parallel parkenden Autos einzuhalten. Die Schrägparkoffensive und ihre Einbahnen haben den RadfahrerInnen das noch immer nur unvollständig zurückerkämpfte Recht genommen, die Straße in beide Richtungen zu befahren. Häufig ist links Abbiegen von einem Radweg nur regelwidrig oder mit einer zusätzlichen Ampelrotphase möglich. De facto ist es so gut wie allen schulpflichtigen Kindern in Österreich verboten, mit dem Fahrrad oder sogar alleine zu Fuß und mit den Öffis in die Schule zu kommen, weil es keine sichere Infrastruktur dafür gibt. Menschen in Rauschers Alter haben noch ganz selbstverständlich in der Stadt auf der Straße gespielt und sind im Winter in den Gassen gerodelt. All das ist heute verboten. Dabei müsste man nur ein paar Dinge verbieten und ein paar Verbote aufheben, um diese Freiheiten wiederzuerlangen.
Freiheit für wen?
Die Grünen sind für viele Menschen eine Partei der Freiheit, gerade weil sie gewisse Verbote fordern und andere bekämpfen, von der Wirtschaft bis hin zum Privatleben, was sich zum Beispiel beim Wahlerfolg bei jungen Frauen zeigt.
Diesen Kampf um gewisse Verbote, um Regeln, um Infrastruktur und Ressourcen nennt man übrigens Demokratie. Nun findet Rauscher das Label der Verbotspartei zu praktisch, um es sich durch Nachdenken oder Argumente kaputtmachen zu lassen. Und für ihn ist es auch so viel angenehmer, die Privilegien der Priveligierten (häufig der weißen, wohlhabenden Männer) als Normalität mit dem Freiheitsbegriff zu verteidigen, als sich auf die Seite der Benachteiligten zu stellen und mit der Forderung nach Verboten für deren Freiheit zu kämpfen.
So schreibt er statt über widerstrebende Interessen und echte Argumente lieber einen Artikel über die kleinen, angenehmen Verbote, die man, obwohl man ja Verbote eh total doof findet, halt doch braucht. Leider.
Georg Maißer leitet die Medienarbeit der Grünen Bildungswerkstatt Österreich.