- Stadt
- Sozial & Gerecht
- Grüne Debatte
Nossek - Die Stadt der Vielen
Wenn wir die nachhaltige Stadt der Zukunft leben und gestalten wollen, dann heißt das vor allem die Kultivierung des Teilens: Stadt bietet die Möglichkeit, allen die Infrastruktur für ein gutes Leben bereit zu stellen – Öffentlichen Verkehr, Parkanlagen, Schwimmbäder – aber eben unter der Rahmenbedingung, dass sie geteilt wird. Nicht jede und jeder hat ihren eigenen Garten, seinen eigenen Swimming Pool oder den Bus und die U-Bahn ganz für sich – man muss sich mit den HundebesitzerInnen, den lärmenden Kindern und den schwitzenden Mitpassagieren arrangieren. Und auch, wenn es lästig ist: Genau dieses Teilen ist essentieller Aspekt eines zukunftsfähigen Lebensstils.
Es gibt kein besseres Feld zur Kultivierung des Teilens als die Stadt der Vielen. Kultivierung heißt vor allem, dass wir StadtbewohnerInnen uns die Vorteile dieses Teilens bewusst machen und bewusst halten – sind sie doch vielfach der Grund, warum wir gerne in der Stadt leben: einkaufen in der Nähe, ein vielfältiges kulturelles Angebot, Mobilität ohne eigenes Auto, gemähter Rasen und gepflegtes Schwimmbad, ohne sich selbst darum kümmern zu müssen.
Kultivierung heißt auch, die Felder des Teilens auszubauen: City-Bikes und Car-Sharing, Indoor-Kinderspielplätze, Wohnprojekte mit neu konzipierten Gemeinschaftsräumen, Obstbäume und Gemüsebeete zur allgemeinen Entnahme, Pflanzentausch-Börsen und Bücherschränke.
Ein gewichtiges Feld des Teilens ist der öffentliche Raum. Und es ist eines der umstrittensten, hat sich doch über Jahrzehnte die Idee festgesetzt, seine wichtigste Funktion wäre das Abstellen von Autos. Gleichzeitig wird der Platz von uns Vielen dringend gebraucht: weil unsere Wohnsituation beengt ist, weil wir unseren Kindern die Möglichkeit geben wollen, selbstständig in die Schule oder zum Spielplatz zu gehen, weil wir fürs Ausruhen zwischendurch ein Bankerl brauchen. „Ich möchte den Parisern und Pariserinnen den Platz zurückgeben, den ihnen das Auto genommen hat“, wird die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zitiert. Die Straße, den öffentlichen Raum nicht mehr als „Un?Ort“ zu sehen, als Ort, der ungefragt für das Abstellen von Autos privatisiert wird, sondern als Raum, den es gemeinsam zu nutzen und zu teilen gilt – das ist tatsächlich ein Bruch mit vorherrschender Kultur. Dieser Bruch ist umso brisanter, als den Kampf dagegen häufig gerade jene führen, die wenig Interesse am gemeinsam genutzten öffentlichen Raum haben, weil sie im Haus mit Garten wohnen, am Stadtrand oder im Speckgürtel – und genau deswegen Interesse haben, dass in der Stadt alle (Auto-)Kultur bleibt, wie sie ist.
Kultivierung des Teilens bedeutet nicht zuletzt die Übung von Rücksichtnahme und Solidarität, Achtsamkeit im Umgang mit dem Gemeinsamen, die stete Aushandlung und Adaption von formellen und informellen Regeln. Ob wir diesen Kultursprung schaffen, steht in den Sternen. Manch Diskussion rund um die Parkraumbewirtschaftung in meinem Bezirk lässt mich zweifeln, Erlebnisse wie jüngst der Aushandlungsprozess rund um die gemeinsame Nutzung einer stark frequentierten Skater-Anlage geben Hoffnung. Hoffnung für die Stadt der Vielen, die Allen ein gutes Leben ermöglicht.
Silvia Nossek ist grüne Bezirksvorsteherin in Währing seit 2015.