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Regina Petrik - Mit gemeinsamen Zielen ist viel möglich
Frau Petrik, Sie haben vor einiger Zeit ihre politische Arbeit unterbrochen, um zehn Monate lang zehn Praktika zu machen und die Probleme und Sorgen der Menschen an ihrem Arbeitsplatz besser zu verstehen. Was bedeutet das „gute Leben“ für die Kollegin an der Wursttheke?
Zum einen bedeutet es für sie, in einem guten Beziehungsumfeld zu leben. Familie, Kinder, Partnerschaft war in den Alltagsplaudereien immer Thema. Es waren längst nicht alle KollegInnen verheiratet und hatten Kinder, aber Leute um sich zu haben, von denen man sich geliebt und angenommen fühlt, das ist wichtig. Der zweite Punkt war die finanzielle Sicherheit. Zu wissen, dass man über die Runden kommt und sich ab und zu einen Urlaub leisten kann. Ganz wichtig war außerdem, dass die Arbeit nicht das Privatleben beeinträchtigt. Es gab immer ein großes Seufzen, wenn Ladenöffnungszeiten verlängert wurden. Da hieß es oft: „Auch wenn man uns ein paar Euro mehr gibt, eigentlich will keine von uns länger bleiben, wir wollen jetzt heim zu den Kindern.“ Ein gutes Leben ist nicht nur die Frage: Wie viele Stunden arbeite ich in der Woche? Sondern auch: Wann? Arbeits- und Privatzeiten sind nicht beliebig verschiebbar, Leute brauchen für ihr gutes Leben einen Rhythmus. Ein weiteres Element war Selbstbestimmung über das eigene Leben. Das Gefühl zu haben, dass man etwas bewirken kann und nicht nur in einem Radl ist. Gerade bei den Kolleginnen im Merkur habe ich das stark erlebt. Für die war das zum Teil völlig neu, dass sie, wenn der Chef sie einteilt, sagen können: „nein, das passt jetzt nicht für mich.“ Und dieses Wohlgefühl, selbst etwas bestimmen zu können in privaten und beruflichen Abläufen, das macht viel aus.
Hatten Sie das Gefühl, dass in verschiedenen Berufsgruppen die Vorstellungen von einem guten Leben sehr unterschiedlich sind oder war es doch recht ähnlich?
Also dort wo ich war hat es sich geähnelt, auch bei den Männern. Für die hatten auch Familie und Privatleben einen hohen Stellenwert. Die genannten Elemente waren eigentlich bei allen vorhanden. Und was auch noch wesentlich ist: zum guten Leben gehört es, Anerkennung zu finden im Beruf, aber auch privat. Viele haben das Gefühl, dass ihr Leben nicht gut genug ist, wenn ihnen nie jemand sagt, dass sie gut sind.
Es gibt ja Menschen, die viele Dinge im Überfluss haben. Bedeutet ein gutes Leben FÜR ALLE dann für die auch Verzicht in bestimmten Bereichen, damit es sich ausgeht?
Naja, das sind zwei Ebenen. Zum einen die individuelle Komponente, da ist meine Erfahrung: je mehr zur Verfügung steht, desto mehr denkt man zu brauchen. Und natürlich kann man dann individuell verzichten oder eben nicht. Aber wenn die Frage lautet: „Ist das Gute Leben für Alle möglich?“ dann ist es keine individuelle Frage, sondern eine politische. Und politisch gesehen bitte ich niemanden zu verzichten, sondern ich stelle die Rahmenbedingungen auf. Wenn ich mehr Steuern einheben möchte, dann geh ich nicht zu jemandem und frage: „Bist du bereit zu verzichten und mehr Steuer zu bezahlen?“ Insofern ist „Verzicht“ für mich nicht das richtige Wort. Denn auch dort, wo viel verdient wird, werden Gehälter ja nicht beliebig rauf und runter geschraubt, sondern sie sind Rahmenbedingungen.
Der Begriff „gutes Leben für alle“ ist ja eine Utopie und die können manchmal etwas schwammig klingen. Was wären denn für Sie konkrete Handlungsschritte, um die Utopie auch verwirklichen zu können?
Im individuellen Bereich kann jede und jeder von uns etwas beeinflussen. Erkenne ich jemanden in seinem/ihrem Leben, in seinem/ihrem Beruf an? Das macht schon viel aus. Das andere betrifft wirtschaftliche Sicherheit und da ist Mindestlohn ein Thema. Der Mindestlohn müsste auf mehr als das Mindeste abzielen. So, dass man sich sein Leben auch gestalten kann. Ohne eigene Gestaltungsmöglichkeit haben die Menschen nicht das Gefühl, ein gutes Leben zu haben. Es braucht eine echte Verteilungsgerechtigkeit: mit einer deutlichen Umverteilungspolitik kann man einiges machen. Das geht natürlich nicht von einem Tag auf den anderen.
Was können Sie als grüne Politikerin dazu beitragen?
Mich genau für diese Dinge einsetzen und Verbündete aus Wirtschaft und Industrie finden. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir dieses Gegenüberstehen, wie es in der Sozialpartnerschaft oft inszeniert wird: „Hier sind die ArbeitgeberInnen, hier sind die ArbeitnehmerInnen und jeder kämpft jetzt“ überwinden. Das Ziel sollte eine gemeinsame wirtschaftliche Lösung sein. Und da gibt es verschiedene Funktionen und Rollen, wie ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen oder EigentümerInnen, Angestellte, aber die Frage lautet: Wie können wir miteinander das Beste aus dem Betrieb machen? Ich glaube mit dieser Haltung und gemeinsamen Zielen ist viel möglich.
Da geht es um einen Paradigmenwechsel. Manchmal gibt es Situationen, da muss einer entscheiden, das stimmt schon. Es muss auch immer wieder Entscheidungshierarchien geben, aber das müssen nicht immer die gleichen sein.
Wenn man sich europäische Tendenzen anschaut, sind rechte Parteien stark im Vormarsch. Ist diese Entwicklung ein Rückschritt, weg vom guten Leben oder kann sie auch eine Chance sein?
Es ist beides. Ein Rückschritt, weil es in der Politik dieser rechtsextremen Parteien nie darum geht, miteinander Lösungen zu finden, sondern nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe das Beste rauszuholen. So kann das Gemeinsame nicht funktionieren. Gleichzeitig ist es aber auch eine Chance, weil wir sehen, dass auch Menschen mit dieser Negativerfahrung umdenken: Es muss doch auch anders gehen. Ich glaube, dass die Bereitschaft es anders zu versuchen, schon da ist.
Regina Petrik ist Landessprecherin der burgenländischen Grünen.