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Sabine Jungwirth - Gutes Leben ist nachhaltiges Leben
Gutes Leben ist definitionssache, jedeR versteht etwas Anderes darunter. Was ist Ihrer Meinung nach für ein „Gutes Leben für Alle“ notwendig und was macht für Sie ein „Gutes Leben für alle“ aus?
Meine Definition von gutem Leben für alle ist im Grunde dem Begriff „Nachhaltigkeit“ sehr ähnlich. Nachhaltigkeit besteht aus drei Säulen – der ökonomischen, der ökologischen und der sozialen – und beim guten Leben verhält es sich ähnlich. Es ist wichtig, in einem gesunden Umfeld leben zu können. Damit meine ich eine gesunde Umwelt, eine Umgebung, die nicht krank macht und keinen Stress verursacht. Es ist auch wichtig, in ein sicheres soziales Umfeld eingebettet zu sein und sich gut aufgehoben zu fühlen. Außerdem ist es von enormer Wichtigkeit für Menschen, ökonomisch abgesichert zu sein; das heißt, mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet sein, um halbwegs gut über die Runden zu kommen.
Sie haben gerade die ökonomische Absicherung angesprochen – ein Thema mit dem Sie sich beruflich stark beschäftigen. Wie hilft Ihnen die Ausrichtung auf ein gutes Leben für alle in ihrer politischen Arbeit?
Das ist für mich eine Leitlinie, entlang der ich mich immer orientiere, wenn es um politische Entscheidungen geht: Welche Lösung ist für alle am besten? Die Ausweitung davon sind im Prinzip die SDGs, die Sustainable Development Goals, die von der UNO vorgegeben sind. Ich habe sie in meinem Notizbuch immer mit dabei, denn wann immer ich darüber nachdenke, was politisch geschehen muss, sind das sehr gute Leitlinien – besonders, da sie alle Bereiche unseres Lebens betreffen und miteinschließen.
Was kann man selbst als Individuum oder Sie als grüne Politikerin nun dafür tun, dass der Traum von einem chancengleichen, guten Leben für alle möglich wird?
Wichtig ist, entlang der notwendigen Änderungen, auch die politischen Forderungen aufzustellen. Im Moment ist für mich der Klimaschutz am wichtigsten – wenn wir unsere Welt zugrunde richten, dann sind alle anderen Bemühungen umsonst, das ist vollkommen klar.
Das zweite brennende Thema ist der Arbeitsmarkt. Unsere Gesellschaft definiert sich immer noch sehr stark über gewerbliche Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass man an dieser Einstellung intensiv arbeiten muss. Teilhaben am Arbeitsprozess ist etwas ganz Wichtiges. Vor allem, weil bei uns jede Form von sozialer Absicherung, beispielsweise die Mindestsicherung, stark davon abhängt, dass ich trotzdem Leistungsbereitschaft zeige für unsere klassisch definierte Erwerbsarbeit. Ganz wichtig ist es, den Menschen diesen Stress zu nehmen. Auch ein Langzeitarbeitsloser, der die Mindestsicherung erhält, hat meiner Ansicht nach enormen Stress und sollte sich auch eine Auszeit nehmen dürfen. Was wir als Care-Arbeit, Hausarbeit, Kindererziehung und so weiter bezeichnen und in unserer Gesellschaft nicht entlohnt wird, ist auch wertvoll und wichtig.
Bedeutet „Gutes Leben für alle“ automatisch Verzicht? Da wir in einer Gesellschaft leben, die Zugang zu vielen Ressourcen hat und diese auch verbraucht – müssten wir uns einschränken, wenn wir diese Ressourcen teilen möchten?
Das kommt darauf an, was man unter Verzicht versteht. Ich selbst habe seit vier Jahren kein Auto mehr und früher hätte ich das wohl als Verzicht empfunden. Inzwischen erlebe ich es aber als wahnsinnige Verbesserung meiner Lebensqualität, weil die öffentlichen Verkehrsmittel viel weniger Stress verursachen. Wenn man sich einmal umgestellt hat, kann man die Zeit plötzlich viel sinnvoller nutzen. So gesehen ist das kein Verzicht, sondern ein Gewinn für mich. Mittlerweile leben viele Menschen unter so immensem zeitlichen Druck, dass für die meisten eine Entschleunigung im Endeffekt einen Wohlstand darstellen würde. Zeitwohlstand ist mittlerweile ein hohes Gut, für das viele auch gerne die eine oder andere Veränderung in Kauf nehmen würden. Für uns würde das also sehr wohl eine Veränderung der Gewohnheiten, aber nicht unbedingt einen Verzicht darstellen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde von Anna Katharina Holzhacker für die Grüne Bildungswerkstatt geführt.
Sabine Jungwirth ist Landtagsabgeordnete der steirischen Grünen und Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft. In diesen Positionen sowie als Unternehmensberaterin für CSR und Nachhaltigkeitsmanagement setzt sie sich intensiv mit den Sustainable Development Goals (SDGs) und deren Einwirkung auf ein „Gutes Leben für alle“ auseinander.