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Sozialökologische Reindustrialisierung – zwischen lokalen und globalen Dynamiken
1. Wechselseitiges Lernen in einer komplexen Welt
Dieses GEF-Projekt zielt auf die Bildung einer Wissensallianz europäischer PartnerInnen unterschiedlicher regionaler Hintergründe: Grüne Bildungswerkstatt in Österreich, Oikos in Belgien, Fundacion Nous Horizons in Spanien, Ökopolisz in Ungarn, das Green Institute in Griechenland, die Green Foundation in Irland und die Heinrich Böll Stiftung in Kroatien. Alle diese Länder sind mit unterschiedlichen ökonomischen Strukturen und spezifischen, sozioökologischen Herausforderungen konfrontiert. Unsere Wissensallianz geht vom Standpunkt aus, dass zwar niemand alles, aber auch niemand nichts weiß. Daher können alle von einem Dialog unterschiedlicher PartnerInnen im Hinblick auf Nationalität, politische Themenfelder und akademische Disziplinen lernen. In einer komplexen Welt gibt es eben nicht den einen Königsweg. Und die Strukturen ungleicher Entwicklung im Kontext der Europäischen Union führen zu einer Vielfalt an regionalen und nationalen Entwicklungswegen, welche keine Einheitslösungen erlauben.
Unser Projekt anerkennt diese Diversität und befördert einen fruchtvollen Dialog zur brennenden Frage der Zukunft der europäischen Industrie. Den Rahmen gibt das gemeinsame Bezugssystem der [Notwendigkeit einer] Transformation hin zu einer gleicheren, nachhaltigen und kohlenstoffarmen Gesellschaft. Ziel des Projekts ist es, kontextspezifische Lösungen zu identifizieren, die angepasste Strategien zur Erreichung einer inklusiven und grünen Wirtschaft ermöglichen.
2. Unterschiedliche Wege zu sozioökologischer Reindustrialisierung
Auch wenn alle Grünen, viele soziale Bewegungen und ForscherInnen der Notwendigkeit einer sozioökologischen Reindustrialisierung zustimmen, gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Strategien. Die GEJ-Publikation “Green Industry in a post-industrial Society” zeigt dies deutlich auf. Obwohl prinzipiell alle übereinstimmen, dass wir uns in Richtung einer zirkulären Ökonomie bewegen sollten, sind die vorgeschlagenen Lösungspfade sehr unterschiedlich. Einerseits gibt es eine Argumentationslinie, die in Richtung Modernisierung unserer industriellen Basis tendiert und auf Innovationen, Effizienzsteigerung und nachhaltige Technologie setzt, um die Wettbewerbsfähigkeit unsere Industrien in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft zu erhöhen. Auf der anderen Seite führt der vorgeschlagene Weg in Richtung einer Stärkung lokaler Wirtschaftskreisläufe, aufbauend auf Kooperativen und regionaler Vernetzung, wobei die Frage der Suffizienz mit einer gleicheren Gesellschaft verknüpft wird.
Obwohl diese beiden Pfade nicht zu 100 % kompatibel sind, sind sie nicht notwendigerweise inkompatibel. Beide Strategien haben ihre Schwächen. Erstere muss eine Antwort auf die steigende Konzentration ökonomischer Macht liefern und das Sprießen lokaler Initiativen erklären können. Die zweite Strategie braucht eine Lösung für die Herausforderungen der europäischen Industrie im Kontext des verstärkten, internationalen Wettbewerbs.
3. Ein Multilevel-Ansatz
Durch die Fokussierung auf einen Multilevel-Ansatz will das Projekt die Dichotomie von lokal und global überwinden. Eine oft zitierte Analyse lautet: Wir leben heute in einer globalisierten Welt. Während dies für eine bestimmte Anzahl an Gütern und Dienstleistungen sicherlich zutrifft, blendet diese Aussage eine viel komplexere Realität aus. Um ein Beispiel zu geben: Zwei Drittel der Exporte aus Flandern, einem der offensten Wirtschaftsräume Europas, sind für europäische Märkte bestimmt. Obwohl der wichtigste Exportmarkt für die flämische Industrie natürlich die Niederlande sind, sind auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Kroatien und Ungarn über diverse transnationale und regionale Verflechtungen stark mit der flämischen Industrie verbunden. Die europäische Industrie ist nicht einheitlich.
Innovative Regionen und Städte werden zu Knotenpunkten in neuen, in den globalisierten Markt integrierten Geschäftsfelder (wie etwa Informations- und Kommunikationstechnik), während gleichzeitig neue Initiativen zur Entwicklung lokaler, nachhaltiger Wirtschaftsformen (wie etwa urbane Landwirtschaft, Netzwerke gemeinschaftlichen Konsums, etc.) entstehen. Letztere sind außerdem oftmals Teil offener, globaler Peer-to-Peer-Netzwerke. Die Anerkennung dieser vielfältigen Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen ist ein entscheidender Ausgangspunkt für einen fruchtvollen Dialog über die Notwendigkeit einer sozioökologischen Reindustrialisierung in Europa.
Synergien und Spannungen mit umfassenden Bestrebungen in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft sind Teil dieses offenen Dialogs. Nur multi-level Strategien liefern Antworten, die in der realen Welt auch tatsächlich funktionieren können, wie etwa die Notwendigkeit, den Aufschwung lokaler Wirtschaftsformen regulatorisch entsprechend zu lenken. Zusammenfassend bedeutet das, dass Globalisierung ein durch kontinentale, nationale und regionale Dynamiken vermittelter Prozess ist, der die jeweiligen industriellen Sektoren entsprechend formt.
4. Unser Fokus: Der Übergang in eine inklusive, kohlenstoffarme Gesellschaft
Im Kern spiegeln die oben erwähnten Strategien die alte Dualität zwischen klein und groß, zwischen Nische und Mainstream wider. In diesem Projekt versuchen wir, diese Dualität zu überwinden, indem wir den Übergang zu einer inklusiven, kohlenstoffarmen Gesellschaft in den Fokus nehmen. Sowohl kleine als auch große Initiativen, bottom-up oder top-down Strategien können für diese große Herausforderung wichtige Einsichten liefern. Wir interessieren uns für den allgemeinen, sozioökonomischen Übergang und weniger für vereinzelte, neue grüne Sektoren (wie Wind- oder Solarenergie). Unser Ausgangspunkt sind die vielfältigen lokalen Initiativen und Graswurzelbewegung, die überall in Europa aus dem Boden sprießen (Commons, Regionalwährungen, Kooperativen, Tauschnetzwerke, solidarische Ökonomie, Peer-to-Peer Initiativen, etc.) und auf die Stärkung lokaler Märkte und regionaler Vernetzung abzielen. Diese lokalen und regionalen Initiativen können Vorschläge und Maßnahmen hinsichtlich der Erneuerung der industriellen Basis in Europa, wie etwa “RISE” oder ein “Green New Deal” keineswegs ersetzen, jedoch zweifelsohne ergänzen.
Aus den genannten Gründen suchen wir nach sozialen Innovationen für eine sozioökologische Reindustrialisierung in drei Themenfeldern:
1) Innovative regulatorische Rahmenwerke (bspw. das deutsche “Erneuerbare-Energien-Gesetz”, Jugendbeschäftigungs- und Ausbildungsprogramme)
2) Innovative Kooperations- und Führungskonzepte zur Förderung des Übergangs in Richtung sozioökologische Reindustrialisierung (bspw. neue Formen der Sozialpartnerschaft, urbane Industriepolitik, Netzwerke grüner und sozialer UnternehmerInnen, etc.)
3) Innovative Projekte und Best-Practice-Beispiele zur Stärkung lokaler Wirtschaftskreisläufe oder einer High-tech-Industrie (z.B. Netzwerke urbaner Landwirtschaft, 3 D-Drucker-Produktionen in FabLabs, Reparatur-Netzwerke, etc.)
Andreas Novy (GBW) & Dirk Holemans (Oikos)
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