Nachlese: Lebenswelt weiblicher Geflüchteter in OÖ
Am Mittwoch, 24. Mai 2023, fand sich abends besondere Frauen zu einer Diskussionsrunde bei uns ein:
Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien
LAbg. Ines Vukajlovic, Sprecherin für Menschenrechte, Minderheiten Sozialpolitik Integrations- und Asylpolitik der Grünen OÖ
Susanne Gahleitner, Teamleitung Wohngemeinschaft „Ohana“ für unbegleitete geflüchtete Jugendliche von SOS Menschrechte
Die Moderation der Veranstaltung übernahm Marie-Edwige Hartig, ehemalige Gemeinderätin in Linz
If you educate a man, you educate an individual. If you educate a woman, you educate a nation.
(Afrikanisches Sprichwort)
Geflüchtete Frauen sind eine größer werdende Gruppe in Österreich. Einerseits durch Familienzusammenführung und durch die Geflüchteten aus der Ukraine.
Wie leben geflüchtete Frauen in Österreich, welche Ressourcen bringen sie mit und welche Herausforderungen müssen sie meistern? Der Abend beschäftigte sich mit der Geschlechterdimension in der Fluchtbewegung und wie wir als Personen ohne Fluchterfahrung unterstützend wirken können.
Thematisiert wurde die Schlüsselrolle, die geflüchtete Frauen für die Integration der Familien im Ankunftsland einnehmen, auch über ihre besondere Vulnerabilität als Frau, oft in Begleitung von Kindern auf der Flucht wurde gesprochen und wie es um ihre Qualifikationen und Arbeitsmarktchancen bestellt ist. Ins Licht geholt wurden auch die „blinden Flecken“ in der Unterstützung für Geflüchtete wie der Mangel an mehrsprachigen Angeboten in Frauenberatungsstellen, monatelange Wartezeiten auf Deutschkurse, kaum Zugang zum leistbaren Wohnungsmarkt.
Und dies, obwohl die Migrationsforschung eindeutig belegt, dass alles was für die Ankommenden von Anfang an gut läuft einen nachhaltig wirkenden Integrationseffekt hat.
Im Juli ist die neue Ausgabe von Radio Planetarium zum Nachhören der „Lebenswelt weiblicher Geflüchteter in OÖ“ erschienen: > Link
Judith Kohlenberger betont die besondere Wichtigkeit der Multiplikatorfunktion für die Integration, die geflüchtete Frauen bringen: Frauen geben die Bildung die sie erhalten viel stärker an die eigene Community weiter. Und es beweist den absolut falschen Ansatz, die Auszahlung der Mindestsicherung an ein bestimmtes Deutschniveau zu koppeln. Das kann gar nicht zum gewünschten Effekt führen. Frauen erleben viel mehr Gewalt auf der Flucht als Männer: durch andere Flüchtende, die Polizei, Grenzposten oder Schlepper. Mit Blick auf Österreich zeigt sich nach Ankunft eine hohe psychische Belastung, wenn z.B. die alten Eltern zurück gelassen werden mussten. Zudem leben 90 % der geflüchteten Frauen in massiv armutsgefährdeten Haushalten.
Die in Österreich stark emotional aufgeladene Debatte führt dazu, dass geflüchtete Frauen Mehrfachbelastung und multiple Diskriminierung erleben und im öffentlichen Raum aufgrund ihrer Kleidung sogar angegriffen werden: Jede 4. Geflüchtete Frau wurde seit ihrer Ankunft in Österreich schon mindestens einmal angeschrien, angespuckt oder hat körperliche Gewalt erfahren. „Es ist nicht hilfreich nur den Druck zu erhöhen!“
Geflüchtete Frauen sind qualifiziert, wir wollen qualifizierte Zuwanderung, aber geflüchtete Frauen bekommen trotzdem oft nur massiv unterqualifizierte Jobs. Ein Mehrwerteffekt ergibt sich durch die Sorgearbeit von Frauen mit Kindern: der Effekt, der mit Sorgearbeit einhergeht sollte gestärkt werden und gleichzeitig bei Bildung und Sozialkompetenz gefördert werden. Um die Erwerbsquote geflüchteter Frauen zu erhöhen muss auf Fort- und Weiterbildung gesetzt werden, Kinderbetreuung sicher gestellt und der Zugang zu psychologischer und Gesundheitsberatung erleichtert sein. Der Aufstieg autochthoner europäischer Frauen passiert oft auf Kosten von Frauen mit Migrationshintergrund, die in haushaltsnahen Bereichen arbeiten. Dafür muss Bewusstsein geschaffen werden.
Ines Vukajlovic findet es extrem wichtig Wissen darüber zu haben, wie es Frauen mit Fluchthintergrund in Österreich geht. Das Asylparadox ist: Menschen die zu uns kommen, auf welchem Weg auch immer, ob freiwillig oder unfreiwillig, sollen sich schnell integrieren. Aber sie dürfen nicht mehr wollen, keinen sozialen Aufstieg oder gar Führungspositionen. Das sind keine individuellen Probleme sondern ein gesellschaftlich-strukturelles Problem. In Oberösterreich wird mittlerweile systematisch diskriminiert, zB am Wohnungsmarkt und das schleicht sich als Normalität ein. Leistungserbringung wird mit einem bestimmten Aufenthaltsstatus verknüpft: 5 Jahre Aufenthalt in Österreich, Deutschkenntnisse, 54 Monate gearbeitet und ein Erwerbsnachweis sind nötig sind für den geförderten Wohnungsmarkt. Das ist für Menschen, die aus dem Asylverfahren raus kommen unfassbar schwierig.
„Wir diskriminieren mit System und so wird es irgendwann Normalität.“ Geflüchtete, Vertriebene, Menschen mit Asylstatus haben unterschiedliche Ansprüche und Zugänge, wohnen aber nebeneinander und es ist kaum erklärbar. Auch fehlt allgemein ein mehrsprachiges Beratungsangebot für Frauen oder einfach mehrsprachige Flyer, die vom Frauenreferat des Landes runter geladen werden können.
Susanne Gahleitner leitet eine Wohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete mit Platz für fünf Mädchen. Das sind die einzigen 5 Plätze, die in OÖ für Mädchen zur Verfügung stehen.
Die Jugendlichen stehen immer in Warteposition, egal wie lange es dauert, egal wie gut sie deutsch sprechen. Wenn sie noch im Verfahren sind, ist es immer eine Wartehaltung: Wann kann ich los gehen, eine Wohnung bekommen, wann kann ich arbeiten?
„Es ist unglaublich was diese jungen Menschen auf dem Weg ihrer Flucht zu uns nach Österreich erleben mussten und in ihren Heimatländern schon erlebt haben. Sie brauchen sehr lang um Vertrauen zu ihren Betreuer:innen zu fassen und zu erzählen was ihnen alles passiert ist. Dann fängt der Weg zur psychischen Gesundheit erst an.“ Sie haben keine Chance einfach nur Jugendliche zu sein, Träume zu haben, denn dies wird sehr schnell von der Realität des Asylverfahrens zerstampft.“
Susanne Gahleitner wünscht sich für geflüchtete Minderjährige die gleichen Standards wie sie für österreichische fremduntergebrachte Kinder gelten.
Wie können wir als Personen ohne Fluchterfahrung unterstützen?
Susanne Gahleitner: Darüber reden, Infos weiter tragen. Wir sind alle Multiplikator:innen!
Ines Vukajlovic: Die emotionale Debatte kann auch positiv geführt werden: was sind die Chancen, was sind die Potenziale der Vielfalt!?
Menschenrechte sind Frauenrechte – es bringt uns als Kollektiv was, aber auch als Individuen!
Judith Kohlenberger: Diese Veranstaltung mit dem gleichen Titel wiederholen, aber mit Frauen am Podium, die Fluchterfahrung haben.