Nachlese: Lebenswelten geflüchteter Frauen in OÖ

Teil 2 der Reihe am 24. Oktober 2023 im Alten Rathaus Linz

„Unsere Gesellschaft und
Zukunft ist migrantisch:
weil wir sind da!“

ZUM NACHHÖREN

Zu dieser Veranstaltung gibt es einen Audio-Mitschnitt von Sabine Traxler

Die zweite Veranstaltung aus der Reihe „Lebenswelten geflüchteter Frauen in OÖ“ war eine Kooperation von Grüner Bildungswerkstatt OÖ und SPÖ Frauen OÖ und möchte Betroffene selbst sprechen lassen. Als Ehrengästinnen eingeladen waren auch Abgeordnete aller Parteien. LAbg. Scheiblberger, Vorsitzende des Frauenausschuss, sendete eine Grußbotschaft.

Moderatorin Delna Antia-Tatić betonte aus ihrer journalistischen Erfahrung, unter anderem als Chefredakteurin des Magazins Biber, dass dieses Thema einen blinden Fleck in der bisherigen Flüchtlingspolitik darstellt. Wenn über Geflüchtete gesprochen wird, stellen wir uns immer junge Männer in großen Gruppen vor. Dabei zeigen die Zahlen, global gesehen sind die Hälfte aller Geflüchteten weiblich.
In OÖ sind sie in der Minderheit, aber ihre Bedeutung im Integrationsprozess ist umso höher. Sie tragen große Verantwortung in den Familien und sind Multiplikatorinnen. Andererseits steht eine um 26 % geringere Erwerbsquote als bei männlichen Geflüchteten.
Damit stellt sich die Frage nach einem genderspezifischen Flüchtlingsverständnis.

(Foto: © MecGreenie)

Dagmar Engl (Foto: © MecGreenie)

„Das löst Trauer, aber auch Wut aus.“

In der ersten Runde des Podiums erzählt Rouaa Raid, Stellvertreterin der Obfrau im Jasmin Kulturverein, von ihrem ersten Eindruck als 10-jährige nach der Flucht aus Syrien: Sie findet Ruhe und kann ohne Angst leben. Sie berichtet auch von Vorurteilen, denen sie in der Schule begegnet. Von Lehrer:innen, die „so einer“ keine sehr gute Beurteilung geben wollen. Von einer Zurückstellung um ein Jahr, weil nicht akzeptiert wird, dass eine Geflüchtete so gute Schulerfolge hat. Das löst bei ihr Trauer, aber auch Wut aus, denn sie erwartet nicht unbedingt Verständnis, aber Respekt z.B. für ihren Wunsch Kopftuch zu tragen.
Heute studiert sie an der JKU und sie weiß wie sie sich helfen lassen kann und informiert andere Menschen über Unterstützungsmöglichkeiten. Sie plädiert in der Diskussion dafür, die kleinen Beratungsvereine, besser zu fördern.

Ayan Rezaei ist nicht aus dem Iran geflüchtet, sondern mit einem Visum als Kunststudentin nach Österreich gekommen. Anfangs war sie freudig erstaunt über viele Unterstützungsangebote. Mittlerweile weiß sie als Obfrau des iranischen Solidaritätsvereins Linz, dass geflüchtete Menschen es nicht so erleben. Sie berichtet von der Sorge anderer iranischer Frauen mit Fluchterfahrung, ihre Anerkennung auf Asyl nicht zu bekommen, falls sie auf diesem Podium öffentlich sprechen. Das Vertrauen auf eine Situationsverbesserung ist großer Resignation gewichen.
Schockierend war der Bericht über eine Familie von drei Frauen, die sexuelle Übergriffe in der Erstunterkunft in Österreich erleben musste. Sie erhielten keine Information zu Unterstützungsangeboten.

Eine Anmerkung aus dem Publikum bestätigt, dass in den Flüchtlingsunterkünften eher Informationen zur „freiwilligen Rückkehr“ hängen, als darüber, wo es Beratung und Hilfestellung bei sexuellen Übergriffen gibt.

vlnr: Renate Heitz, Judith Kohlenberger, Delna Antia-Tatić, Ayan Rezaei, Ines Vukajlović, Rouaa Raid (Foto: © MecGreenie)

Judith Kohlenberger und Dagmar Engl (Foto: © MecGreenie)

„Es gibt Vieles was uns eint“
Judith Kohlenberger schildert aus ihrer Perspektive als Forscherin, wie heterogen die Gruppe von geflüchteten Frauen ist und deren doch sehr divergierende Erfahrungen.
Frauen aus der Ukraine haben ganz andere Backgrounds und Fluchtgeschichten als Frauen aus Afghanistan oder Syrien. Aus dieser Gruppe hat jede 4. Frau angegeben, dass sie mehr als einmal in Österreich angeschrien, angespuckt oder körperlicher Gewalt ausgesetzt war. Zumeist aufgrund der Kleidung oder des Kopftuchs. Studien belegen die politisch aufgeheizte Debatte in Österreich.

Die Herausforderungen, die geflüchtete Frauen haben, potenzieren sich. Mangelnde Kinderbetreuungseinrichtungen und das fehlende familiäre Netzwerk (Oma) sind ein Hemmschuh für Erwerbsanforderungen. Ist bei geflüchteten Männern oft das Aussehen Grund für Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsmarkt, wird bei Frauen durchgehend ein Grund genannt: die Kleidung, das Kopftuch.

Zudem sind Frauen oft Projektionsfläche von Erwartungen: Aus dem Herkunftsland, die Kultur zu wahren (Gebräuche, Sprache, Religion, Kulinarik) und an die Kinder weiterzugeben.
Auf der anderen Seite die Erwartung der österreichischen Gesellschaft, sich im „aufgeklärten Westen“ voll Freude das Kopftuch runterzureißen.

„Wer das Mittelmeer im Schlauchboot überquert hat ist stressresilient“
Geflüchtete Frauen sind besonders loyal ihrem Arbeitgeber gegenüber und haben eine hohe Stressresistenz. Das ist der Mehrwert, den geflüchtete Frauen den Firmen bringen. Es wird zu wenig auf Ressourcen geachtet, die sie mitbringen und die Anerkennungswege von Abschlüssen sind zu lange.
Arbeit ist eine Möglichkeit Selbstwirksamkeit zu spüren. Leider gibt es viele Beispiele wo sogar promovierte Frauen als Reinigungskraft arbeiten müssen. Auch ein rascherer Erwerb der Staatsbürgerschaft kann zu mehr Integration führen.

Ines Vukajlović (Foto: © MecGreenie)

„Was das Land nicht schafft, übernehmen die Vereine“
LAbg. Renate Heitz sieht eine Parallele zu österreichischen Frauen: Auch sie sind aufgefordert „leise zu sein“ und nichts allzu laut zu fordern. Alle Frauen in diesem Land haben es schwer. V.a. weil die Angebote des Landes zu gering sind, bzw. immer der Gefahr von Kürzungen ausgesetzt. Für sie geht es ums Wollen bei den zuständigen Regierungsstellen.

90 % der geflüchteten Frauen sind mit dem nackten Überleben beschäftigt und leben in armutsgefährdeten Familien.

 

LAbg. Ines Vukajlović äußert zu Beginn Bedauern, dass sich zwischen ihrer eigenen Schulzeit und der von Rouaa scheinbar wenig geändert hat.

Mit Rassismus muss sich niemand abfinden, denn zumindest gibt es Gesetze und Strukturen an die man sich wenden kann, wie z.B die Gleichbehandlungsanwaltschaft, das Antidiskriminierungsgesetz und den Verein Zara, der den jährlichen Antirassismus-Report erstellt.

Sie kritisiert unsere Defizitorientierung und plädiert dafür, das Können der Frauen in den Focus zu stellen.
Es werden mehr budgetäre Mittel für den Gewaltschutz gebraucht und eine strukturelle Unterstützung.
Es darf nicht sein, dass die Vereine der Migrant:innen alle Angebotsdefizite des Landes OÖ kompensieren müssen.