Sehnsucht nach Frieden in Zeiten des Krieges

Ein Gastbeitrag von Livia Klingl

Vor knapp einem Jahr nahm die russische Armee einen zweiten blutigen Anlauf, um sich die Ukraine untertan zu machen – eine beispiellose Aggression, von der so viele naiverweise dachten, sie würde gar nicht stattfinden. 

 

Ein Jahr ist es her,

dass sich Wladimir Putin der Tatsache gegenüber sah, er würde in Kyiv nicht mit Blumen empfangen, die ukrainische Hauptstadt nicht in drei Tagen erobern, dem 44-Millionen-Einwohner-Land keine moskaufreundliche Regierung überstülpen und die Ukraine, der Russland 1994 im Budapester Memorandum die Souveränität und die Integrität ihrer Grenzen schriftlich zusicherte, nicht einverleiben. 

 

An Putins Zielen hat sich, glaubt man den Propagandist*innen im staatlichen Fernsehen und seiner Rede an die Nation, nichts geändert. Oder doch. Nicht nur spornen die Propaganda-Expert*innen die staatlichen und privaten Kämpfer auf fremdem Boden dazu an, alles Ukrainische auszulöschen, auch „Babys ertränken“ gehört zum Repertoire des Bösen. Fast täglich träumen diese Leute davon, New York, Paris, London zu bombardieren oder Berlin via Wien mit Panzern einzunehmen und der ganzen Welt zu zeigen, dass das Völkerrecht nur für Schwächlinge gilt. Eine tägliche Freak-Show, die ihresgleichen sucht und ein ganzes Volk auf Jahre entmenschlicht. Das wird das wahre Erbe Wladimir Putins sein.

 

Sehnsucht nach Frieden haben,

so scheint es, vor allem die, die den Krieg nicht erleiden. Es sind nicht nur die fälschlicherweise Putin-Versteher Genannten, die Putin ja gar nicht verstehen, sonst hätten sie ja viel mehr Abscheu vor dem imperalistischen KGBler in Moskau als vor dem „Kabarettisten“ in Kyiv.

 

Sehnsucht nach Frieden haben die Millionen europäischen Pazifisten, die per definitionem gegen Krieg sind. Aber Pazifismus ist nur eine ehrenvolle Haltung, wenn es Frieden gibt. Im Krieg wird sie zur Parteinahme für den Aggressor, sie verkehrt sich in ihr Gegenteil. Und Frieden gäbe es nicht, würde die Ukraine aufgeben, siehe Butscha, Irpin, Mariupol. Bestenfalls gäbe es Friedhofsruhe, schlechtestenfalls Partisanenkampf. Den erlebte die Sowjetunion in Afghanistan, das bewies, dass auch eine Atommacht besiegt werden kann.

 

Ich wage die Behauptung, am meisten Sehnsucht nach Frieden haben die Ukrainer*innen. Aber sie wissen aus den Erfahrungen seit 2014, dass man Frieden nicht bekommt, nur weil man nicht kämpft.

 

Wer Frieden will, sollte Petitionen an Putin schicken. Er könnte den Krieg noch heute beenden. Wenn auch nicht gesichtswahrend, wie da manche so gern eine Lösung für ihn fänden. Denn wer Raubzüge, Vergewaltigung auch von kleinen Kindern und Greisinnen sowie die Erschießung von Zivilist*innen zulässt, hat sein Gesicht längst verloren, jedenfalls unter zivilisierten Zeitgenoss*innen.

Livia Klingl

Autorin, Journalistin

Foto: ORF